Gründungsversammlung

Verband Orthodoxer Kirchen im Kanton Zuerich. Gruendungsversammlung in der griechisch orthodoxen Kirche Zuerich am 21. September 2014: Priester verschiedener orthodoxen Kirchen in Zuerich. Bild: © Vera Markus, www.veramarkus.com

Christen aus zehn orthodoxen Patriarchaten – ein Novum in Zürich?

Wer die orthodoxen Christen in Städten des westlichen Europa nach ihrer Herkunft ordnet, muss unweigerlich auf Zürich stossen. Er wird in dieser Stadt Gemeinschaften fast aller östlichen Glaubenszentren erkennen. Das Ökumenische Patriarchat von Konstantinopel, die mit ihm verbundenen Patriarchate von Russland, Serbien und Rumänien, aber auch die altorientalischen Kirchen von Syrien, Ägypten, Armenien, Äthiopien und Eritrea sind hier mit Gemeinden vertreten, ebenso wie die Thomaschristen Indiens. Auch wenn manche dieser Gemeinden sehr klein sind und deren Mitglieder über das ganze Land zerstreut leben – Zürich bietet ein Bild vielfältiger Orthodoxie.

Langes und vielfältiges Gemeindeleben

Das ist beileibe keine Neuigkeit. Die älteste der orthodoxen Gemeinden in Zürich feierte letztes Jahr ihre 80-jährige Präsenz in der Stadt. Seit 1933 versammelt sich die russisch-orthodoxe Gemeinde des heiligen Pokrov, des Schutzmantel Mariens, im Untergeschoss eines Geschäftshauses an der Haldenbachstrasse im Stadtquartier Oberstrass. Eine eigene Kirche hat sich 1995 die griechisch-orthodoxe Gemeinde des heiligen Dimitrios oberhalb der Limmat erbaut. Nicht mehr gebrauchte Gotteshäuser anderer Konfessionen wurden gekauft und eigenem Empfinden gemäss umgestaltet. Beispiele dafür sind in der Stadt Zürich die russisch-orthodoxe Auferstehungskirche und die beiden serbisch-orthodoxen Kirchen Dreifaltigkeit und Maria Entschlafen sowie in Dietlikon die koptische Kirche der hl. Markus und Mauritius. Gegenwärtig bemüht sich die rumänisch-orthodoxe Gemeinde um den Kauf eines Grundstückes zum Bau einer Kirche, während die übrigen Gemeinden zu Gast in reformierten oder katholischen Gotteshäusern sind.

Jüngste Gemeinden sind wohl jene aus Eritrea. Immer mehr Flüchtlinge aus diesem ostafrikanischen Land leben unter uns. Für sie, die unsere Kultur noch nicht kennen, unsere Sprache noch nicht verstehen, unsere Lebensweise noch nicht teilen – für sie ist die Geborgenheit in ihrer religiösen Gemeinschaft von grosser Bedeutung.
Wie vielfältig orthodoxes Leben sein kann – das wurde deutlich an der Ausstellung «Ostkirchen in Zürich», die 2011/12 im Zürcher Stadthaus gezeigt wurde. Die Ausstellung war auch den vielen orthodoxen Besuchern ein klares Zeichen: Gemeinsam sind wir stark. Als im Nachgang zur Ausstellung die Synode der Katholischen Kirche im Kanton Zürich beschloss, den orthodoxen Kirchgemeinden zur Seite zu stehen, wurde der Wunsch deutlich: Wir möchten – wie die Reformierten, Katholiken, Christkatholiken und auch die beiden grossen jüdischen Gemeinden – im Kanton Zürich offiziell anerkannt sein und am sozialen und politischen Leben teilnehmen können. Ein integrierter Teil also im gesellschaftlichen Leben dieser Stadt.

Wunsch nach öffentlich-rechtlicher Anerkennung

Über Nacht kann ein solches Vorhaben nicht realisiert werden. Zuletzt setzt es das Einverständnis der Bevölkerung des Kantons durch eine Volksabstimmung voraus. Bis dahin ist Vorarbeit zu leisten. Die wichtigste: Die orthodoxen Kirchgemeinden müssen als eine unter sich verbundene Gemeinschaft erkennbar und ansprechbar sein – eben als orthodoxe Kirchen. So leicht geht das nicht. Da ist zunächst die Kluft zwischen byzantinischen und orientalischen Gemeinschaften zu überwinden. Hier sind nicht theologische Hürden zu nehmen, hier geht es um die Erkenntnis, dass das Bild der Kirche nur in der Einheit und Verbundenheit der sie bildenden Gemeinden entstehen kann. Lehramtliche Querelen etwa, im 5. Jahrhundert schon der Trennung zwischen Byzantinern und Orientalen vorgeschoben, haben längstens ihre Bedeutung verloren. Die wichtigste Voraussetzung scheint in Zürich erfüllt zu sein: Gemeinschaften aus beiden orthodoxen Kirchenfamilien werden sich – mit Zustimmung ihrer geistlichen Obrigkeit – am diesjährigen Eidgenössischen Bettag im September zum «Verband Orthodoxer Kirchen in Zürich zusammenschliessen. Sie wissen: Kirche sind wir nur in der Verbundenheit zueinander, in der Ernsthaftigkeit, in der wir einander beistehen und achten. Ein weiterer Schritt in diesem Anerkennungsverfahren ist das Zugehen auf die politischen Parteien, die sich für die Meinungsbildung in der Bevölkerung verantwortlich wissen. Ihnen muss deutlich werden, dass es hier nicht um «Ausländer» geht, die in Zürich das politische Tun mitprägen wollen, sondern dass vielmehr ein Teil unserer Bevölkerung, der zum grossen Teil schon seit Jahrzehnten unter uns lebt und an unserem gesellschaftlichen Leben teilnimmt, das Stadt- und Gemeindeleben bereichern und mitgestalten wird. Die vor kurzem haushoch verworfene Initiative zur Abschaffung der Kirchensteuern von Firmen und Unternehmen, sagt Deutliches zum Bewusstsein der Bevölkerung aus: Egal, ob, wo und wie ich mich kirchlich engagiere – die Kirchen sind ein wesentlicher Faktor im kulturellen, sozialen und gesellschaftlichen Leben der Stadt. Auch die Zürcher Kirchen werden sich in diesen Prozess der Anerkennung einbinden. Das dürfte – man denke an die erwähnte Initiative der katholischen Zürcher Synode – kein ernsthaftes Problem sein. Längst sind sich die Kirchen bewusst, dass die Anerkennung ihrer orthodoxen Schwestergemeinden ihnen Türen öffnet, die bislang verschlossen waren. Der kultische Reichtum der Liturgie, die Verbundenheit mit einer Geschichte, die in die ersten Jahrhunderte unserer Zeitrechnung zurückführt, die Schwerpunkte, die weniger durch den Intellekt als durch das sensitive Fühlen wahrgenommen werden, die Schönheit von Musik und Sprache – in all diesen Bereichen haben die orthodoxen Gemeinschaften uns manches voraus. Das Puzzle der christlichen Kirche wird erst vollständig, wenn auch die alten Schwesterkirchen des Ostens – deren Angehörige oft längst zur etablierten Bevölkerung gehören – ihre Farbtöne, Lichter und Schatten dazu beisteuern. So leicht geht dieser Prozess also nicht über die Bühne. Das wissen wir Katholiken und Protestanten aus eigenen Erfahrungen. Ein russisch-orthodoxer Christ etwa und einer aus der äthiopischen Tewahedo-Kirche – die beiden trennen nicht nur Kultur und Sprache, es trennt sie die lange Geschichte, die zwischen ihren Glaubenswelten liegt. Der nun geplante Zusammenschluss der orthodoxen Kirchen ist ein erster Schritt mit Konsequenzen für uns Christen aller Konfessionen. Die Akzeptanz unserer östlichen Mitchristen auf gleicher Augenhöhe gibt der Stadt Zwinglis mit heute römisch-katholischer Bevölkerungsmehrheit eine neue Dimension: gemeinsam sind wir die eine christliche Kirche. Das stärkt die Orthodoxen – das macht uns stärker.
 
Peter Wittwer
(erschienen in «Religion & Gesellschaft in Ost und West» 9/2014)

Fotografie © Vera Markus
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