Grossmünsterpfarrer: «Wenn der Boden unter den Füssen fehlt, halten wir uns gegenseitig»

Am Montagabend haben Vertreterinnen und Vertreter verschiedener religiöser Traditionen im Grossmünster in Zürich für den Frieden gebetet. In vielen Sprachen wurde ein Wunsch formuliert. Der Wunsch nach Frieden für alle.

© kath.ch von Eva Meienberg / Pfarrer Christoph Sigrist hat am 28. Februar zum «Gebet der Religionen um den Frieden» ins Grossmünster eingeladen.

Um 18 Uhr war der letzte Sitzplatz im Zürcher Grossmünster längst besetzt. Die Besucherinnen und Besucher folgten der Einladung zum Friedensgebet der Grossmünsterpfarrer Christoph Sigrist und Martin Rüsch. Dem «Gebet der Religionen für den Frieden». Die Nachricht des Krieges in der Ukraine habe vielen Menschen den Boden unter den Füssen weggezogen, sagte Christoph Sigrist, nun müssten sich alle gegenseitig Halt geben.

Unter den Teilnehmenden waren etwa der Churer Bischof Joseph Bonnemain und der Zürcher Generalvikar Luis Varandas. Die Zürcher Synodalratspräsidentin Franziska Driessen-Reding und Chantal Götz, Gründerin der Bewegung «Voices of Faith». Aber auch die ehemalige Regierungsrätin Regine Aeppli, der amtierende Regierungsrat Mario Fehr und Schriftsteller Franz Hohler waren da.

© Eva Meienberg / In der Abendsonne strömen die Menschen zum Gebet für den Frieden im Zürcher Grossmünster

Die letzten Sonnenstrahlen des Tages liessen die farbigen Fenster von Sigmar Polke noch einmal aufleuchten. Ein Fenster zeige die Spirale der Gewalt in der Figur des Abrahams. Dieser halte das Messer in der Hand, um seinen Sohn zu töten, sagte Christoph Sigrist. «Diese Spirale der Gewalt müssen wir durchbrechen.» Das gemeinsame Gebet der verschiedenen religiösen Traditionen solle dabei helfen.

Imam ist aus Syrien geflüchtet

Rabbiner Noam Hertig aus der Israelitischen Cultus Gemeinde sprach das erste Gebet. «Wäre 1896 meinem Grossvater die Flucht aus der Westukraine nicht gelungen, stünde ich heute nicht hier», sagt Noam Hertig. Die Fluchtgeschichten aus der Vergangenheit seien zurück in der Gegenwart und nun gelte es, für die Freiheit und die Würde aller Menschen einzustehen.

© Eva Meienberg / Der Chor der serbisch-orthodoxen Gemeinde und v.l.n.r.: Dechen Kaning, Satish Joshi, Barbara Oberholzer, Marcel von Holzen und Kaser Alasaad.

Kaser Alasaad, Imam der Islamischen Gemeinschaft Volketswil rezitierte die erste Sure des Korans. Die fremde Melodie erfüllte das Kirchenschiff. Der Syrer ist2014 in die Schweiz geflüchtet. Er ist sichtlich betroffen über die Nachrichten aus der Ukraine. «Wie kann ein einzelner Machthaber so viele Menschen ins Leid stürzen?», fragte sich der Imam. «Krieg bringt für die Gewinner und Verlierer nur Schmerz», sagte Kaser Alasaad. Die Narben blieben über Generationen bestehen.

Barbara Oberholzer, Dekanin der reformierten Kirchgemeinde Zürich zitierte das Kriegslied von Matthias Claudius. «’s ist leider Krieg – und ich begehre, nicht schuld daran zu sein!» Die Verse liess sie unkommentiert verhallen.

Ein Werkzeug des Friedens sein

Der römisch-katholische Dekan der Stadt Zürich, Marcel von Holzen, erinnerte in seinem Gebet an die Worte Papst Franziskus. «Gott ist mit den Friedensstiftern», zitiert er den Papst, im Anderen sollen wir nicht das Böse suchen, sondern dafür beten, ein Werkzeug des Friedens zu sein.

© Eva Meienberg / Die Plätze des Grossmünster sind am *Gebet der Religionen für den Frieden“ am 28. Februar 2022 alle besetzt.

Zwischen den Gebeten sangen die Anwesenden Taizé-Lieder. «Ubi caritas et amor, Deus ibi est. – Wo Güte ist und Liebe, da ist Gott.» Viele stimmten in den Chor ein und füllten die Kirche mit Klang.

Fürbitten-Gesang rührt Anwesende

Martin Rüsch, Pfarrer des Grossmünsters und Lars Simpson, christkatholischer Pfarrer sprachen ihre Gebete bevor Branimir Petkovic, Erzpriester der serbisch-orthodoxen Kirche in Zürich seine Fürbitten für die Menschen in der Ukraine vortrug. Ein kleiner Chor aus seiner Gemeinde sang die Antwortrufe. Nicht nur die Sängerin wurde von Tränen überwältigt. Die melancholischen Gesänge rührten viele Anwesende.

© Evan Meienberg / v.l.n.r.: Kantor, Daniel Schmid, Branimir Petkovic, Lars Simpson, Martin Rüsch und Noam Hertig.

Dechen Kaning aus dem Songtsen House in Zürich sang ein buddhistisches Lied und kommentierte es so: «Wer nicht versteht, was das Wort Frieden bedeutet, der leidet selbst und mit ihm seine Nächsten.» Satish Joshi vom Schweizerischen Dachverband für Hinduismus rezitierte aus den Veden. Der Sanskrittext formuliere den Wunsch, dass allen das Gute, der Friede, die Vollkommenheit und das Wohlergehen zuteil werde, übersetzte Satish Joshi.

Daniel Schärer, Diakon der russisch-orthodoxen Auferstehungskirche in Zürich, rief die Anwesenden auf, jeden Abend um 22 Uhr zu beten. Peter Merz, Direktor des Hilfswerks Heks, berichtete, dass das Hilfswerk an den ukrainischen Grenzen Vorbereitungen treffe, um den Flüchtenden humanitäre Hilfe zu leisten.

Vom Gottesdienst zur Kundgebung

Der Wunsch, etwas zu tun, sei bei vielen Menschen vorhanden, sagte Grossmünster-Pfarrer Christoph Sigrist. Eine Möglichkeit etwas zu tun, sei auch sich solidarisch zu zeigen. Er forderte damit die Anwesenden auf, nach dem Gottesdienst gemeinsam auf den Münsterplatz zu gehen und an der Kundgebung der Gruppe StandUp4Democracy teilzunehmen.

Viele folgten dem Aufruf und mischten sich unter die mehrere Tausend Menschen, die sich zwischen dem Grossmünster und dem Rathaus, deren Fassaden in den ukrainischen Farben beleuchtet wurde, versammelt hatten.

© kath.ch. 28.2.2022 / https://www.kath.ch/newsd/grossmuensterpfarrer-wenn-der-boden-unter-den-fuessen-fehlt-halten-wir-uns-gegenseitig/

Zum Video: https://www.altstadtkirchen-live.ch/#621d120e5021ff3885f05967